Deutsch-LK - Herr Kochheim

Deutsch-LK - Herr Kochheim


Irrungen, Wirrungen

 

"Ihr habt die freie Wahl", haben sie gesagt. "Ihr könnt die LK‘s wählen, die ihr wollt", haben sie gesagt. "Es liegt ganz bei euch", haben sie gesagt.

Die Wahl war gar nicht so frei, haben wir herausgefunden. Die Wahl der LK’s hing nicht so richtig von unseren Wünschen ab, haben wir herausgefunden. Es lag ganz bei den Wahlbestimmungen, haben wir herausgefunden.

Die in den vorangegangenen Zeilen beschriebene Problematik der vermeidlichen Wahlfreiheit die Schülern der Oberstufe am Gymnasium Bornbrook zur Mitte der elften Klasse zumindest formell zusteht, ist eine von insgesamt drei Ursachen für die schlußendliche Zusammensetzung des D1Km (Anm. d. Autoren: D1Km=Schuldeutsch für: Erster Deutschleistungskurs unter der Leitung des Herrn Wilfried "Johannes" Kochheim).

Die verbleibenden zwei Beweggründe könnten unterschiedlicher nicht sein. Während ein Teil der potentiellen Deutsch-LK-Schüler allein aus Liebe zur deutschen Sprache und tiefster Verehrung der aus ihr so mannigfaltig hervorgegangenen kulturellen Schätze handelte, und wie selbstverständlich aus diesem Drang nach intellektueller Erfüllung seine Wahl traf, war es dem anderen egal.

So fanden sich denn Ende August 1998 achtzehn mehr oder minder motivierte Schüler im Raum 224 ein. Man lernte schnell, daß es in Griechenland nicht nur lustige kleine Sirtaki tanzende Gesellen gibt, sondern daß in dieser verträumten nicht-Euro-fähigen Tzatziki und Gyros exportierenden südeuropäischen Mittelmeerregion das Heldentum nicht nur auf Xena und Herkules beschränkt ist, sondern auch tragische Figuren wie Oidipus, König von Theben hervorgebracht wurden. Dieser erste literarische Exkurs hatte zur Folge, daß sich ein Deutsch-Lkler seitdem nicht mehr entschuldigt, sondern um Verzeihung bittet (Km: "Entschuldigen kann Sie nur der Papst!").

Dem antiken Drama des Sophokles folgte unverzüglich die Geschichte eines holländischen Dorfrichters, anhand dessen Triebhaftigkeit und der damit verbundenen Zerstörung eines Tongefäßes dem Deutsch-LK die kriminelle Schuld veranschaulicht werden sollte.

Nach Vatermord, Inzest und Bauerntheater konnte selbst "Die Pest" den Kursteilnehmern nichts mehr anhaben.

"Sein oder nicht sein" war zunächst der Leitspruch des zweiten Semesters. Danach Gyros - die Zweite: Orpheus und Eurydike. Das harte Schicksal des griechischen Liebespaares wurde den Schülerinnen und Schülern (Anm. Chr. Burgd.: "Hallo BSJB!") nicht nur in Prosaform, sondern auch durch zahllose Gedichte, Opern, Bilder und Filme nähergebracht.

Mit diesem erneuten Ausflug in die griechische Sagenwelt und einem Querschnitt durch die wunderbare Welt der deutschen Dichtkunst endete das zweite Semester... MOMENT! Einen wesentlichen, unabdingbaren Bestandteil von S2 bildete das sensationelle, zukunftsweisende und einmalige Projekt der rechtskonservativen Frankfurter Publikation "FAZ", welches unter dem Namen "Jugend schreibt" geführt wird, und unter der Schülerschaft zu Ausbrüchen purer Begeisterung führte. Selbst die bereits erwähnten Idealisten des Kurses verloren angesichts der Unmengen an Papier schnell die Motivation und stellten die ihnen offerierte Mitwirkung an dem "häsische Bläddsche" ein. Selbstverständlich entließ der große Meister Kochheim seine Schützlinge nicht ohne eine schier unlösbare Aufgabe in die Sommerferien. Nur ein Wort: FAUST. Zu Beginn des dritten Semesters war er offensichtlich der Einzige, der den Glauben in den Kurs noch immer nicht verloren hatte und sich daher sehr überrascht zeigte, als ihm folgende erschütternde Kunde zugetragen wurde........

 

Wie es Euch gefällt

 

Ein Stück in zwei Akten

 

 Akt I Szene 1

Ein Klassenzimmer

Es treten auf: Schüler, der Herr

 

Schüler (hastend): Herr, Herr, ich bringe Euch Kunde!

Der Herr (überrascht): Was ist Dein Begehr‘, mein Sohn.

Schüler (weiterhin hastend und ächzend): Oh, gütiger Herr, das Volk hat gar

schändlich Frevel begangen, es trutzet

Eurem Befehl.

Der Herr (verzweifelnd): Oh, welch grausig Schmach übermannt mein schwa-

ches Selbst.

Schüler (hastend, erwartungsvoll): Ihr gedenket sicherlich, die Schuldigen zu

strafen?!

Der Herr (senkt sein Haupt, zu sich): Habe nun ach versucht zu unterweisen sie

der Lyrik wunderschönen Welt.

Da steh ich nun ich armer Tor,

sie sind so doof als wie zuvor;

Heiße Wilfried, heiße Johannes gar,

und ziehe an die dreißig Jahr

herauf herab und quer und krumm

meine Schüler an der Nase herum –

und sehe, daß sie nichts wissen können,

das will mir schier das Herz verbrennen.

Schüler (abwartend und mehr und mehr hastend): "Oh Herr ich brauche meine

[Ruh‘,

muß laufen und laufen immerzu.

(Greift sich ans Herz) Ach weh mir, mein End‘ ist nah,

ich sehe schon des Engels blondes Haar.

(Eine kleine blonde wundersame Gestalt erscheint)

Engel: Weidmannsheil, Jüngling, Na du bist mir ja einer. Was ist mit dir ge-

schehen?

 

(Schwarzhaarige Person tritt auf)

Person (herbeieilend und eifrig mit dem Finger in der Luft wedelnd und schnippend): Ich weiß es, Ich weiß es, Ich weiß es, Ich weiß es, Ich weiß es, Ich weiß

es, Ich weiß es, Ich weiß es, Ich weiß es, Ich weiß es, Ich...

Engel (die Person unterbrechend): Nun denn mein eifrig Kind,

erzähle mir geschwind:

Na, was weißt du denn?

Person: Ja, also... äh, du weißt schon. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Na,

der ist gelaufen und dann ... äh, ich weiß auch nicht. Äh...

(Ein Spalt öffnet sich im Boden und verschlingt die Person)

Person(aus dem Spalt emporrufend): Dann geh‘ ich eben zur Nordakademie!!

 

Szene 2 - Tanz der Furie

Furie: Ich kenn‘ auch jemand, der ist von einer Felsspalte verschluckt worden.

Also das war so: Ich war in der Mönckebergstraße und wollte mir ein

todschickes Kleid von STEFANEL© zum halben Preis kaufen und da...

Der Herr(verwirrt auf und ab gehend, mit Zitaten um sich werfend): ... wer trü-

ge Lasten und stöhnt und schwitzte unter Lebensmüh‘?...

Furie: ... und Klaus (Anm. d. Autoren: Name geänd.) hat letztens schon wieder

eine Versicherung verkauft...

Der Herr(zur Furie): Ich wollt‘ du hättest mehr zu tun als mich am guten Tag zu

plagen. (faßt eine Entscheidung)

Diener, zur Hand!

(Furie entfernt sich [fortwährend redend], Eifriger Schüler tritt auf)

Eifriger Schüler: Zur Stelle, mein Herr.

Der Herr: Diener, sag es einem jeden und jedem einen,

daß heut‘ noch vor dem zehnten Glockenschlage

das Volk sich einzufinden habe im Raum 224!

Eifriger Schüler: So sei es denn mein Herr. Dein Wille Geschehe.

(Bediensteter Ab)

 

Szene 3

- im Raum 224 -

(Das Volk ist [beinahe vollzählig] versammelt, Der Herr tritt ein)

Der Herr(bedrohlich): Noch vor des Hahnes ersten Schrei vernahmen meine

120 Jahre alten Ohren heut‘ die Kunde daß ihr, meine Un-

tergebenen, nicht Willens gewesen seid, das euch von

mir gestellte Soll zu erfüllen. Wollt ihr eure Schuld

lindern, so sprecht!

(Ein Raunen geht durch die Reihen)

Stimme im Gewirr: ... wir haben auch noch andere Kurse...

Andere Stimme: ... wir schreiben nächste Woche noch Mathe...

Ganz andere Stimme: ... wir brauchen mehr Zeit!

Der Herr: Silentium! Mein Wort sei Gesetz, niemand soll daran zweifeln. Das

Wort lautete: Sechs Wochen!

(Erneutes Raunen)

Stimme: ... noch zwei Wochen...

Der Herr: Ihr habt mich überzeugt, aber ihr sollt wissen, daß mein Wille nicht

leicht zu brechen ist. Noch zwei Wochen gebe ich euch.

(alle ab)

 

 

Akt II

Szene 1

-weiter, lichter Raum –

(Beinahe alle Schüler sind anwesend, Schüler tritt auf, hastend)

Schüler: Hört Freunde, ich bring‘ euch neue mär:

Dem armen Herrn und Meister schmerzet ach sein Knie so sehr.

Stets intervenierende Person: Ohgottohgottohgottohgottohgott, der arme, Ohneinohneinoh

neinohneinohneinohneinohnein.

(Schüler stolpert über seine eigene viel zu tief hängende Hose, checkt gar nichts, ey, bleibt fett auf dem fucking ground liegen)

Gefallener Schüler: Ey was geht ´n hier ab. Alder Schwede!

Schüler: Ich wollt‘ soeben Kunde tun von ach unsäglich Qual,

der große Meister ist hinfort, wir haben keine Wahl:

Ein neuer großer Mann zu lehren uns ist nun parat,

ich sehe seine Fahne schon, der neue Meister naht.

Gefallener Schüler: Oah, nee ey, fuck you bitch, alla was geht `n ab?

EY was, bei diesem krassen Typ sr+… ~ } +xysr...

(Steckt sich Kopfhörer in die Ohren, steht auf, zieht den Hosenbund in die Knie, schlurft ab)

Stets intervenierende Person (piepsig): Ähem! (niest)

Alle: Gesundheit!

Stets intervenierende Person (noch piepsiger): Danke, ihr seid soooooo süüüüß!!!!

 

 

 

 

Szene 2

-Raum 224-

(Es treten auf: alle Schüler untereinander redend und der neue Meister unmotiviert in die Runde blickend)

Neuer Meister: Liebe Schüler, darf ich’s wagen, jenes Denkmal zu zerschlagen,

welches euer alter Meister war

manche Stunde, fast ein Jahr?

(Die Schüler unterhalten sich unbeirrt weiter)

Stets intervenierende Person (piepsig, hüstelnd): Ähü, ähü, ähm, ehemehemehem, ähü, ehem, em, h, h... [plumps]

(Fällt zu Boden, an den Hals fassend, stirbt. Ein Frosch springt aus ihrem Mund hervor und verläßt den Raum durch das offene Fenster, Schüler halten kurz inne, verfallen dann wieder in ihre Gespräche.)

Schülerin (hebt Kopf vom Tisch, unterbricht künstlerische Darstellung eines knuffigen Teddys): Oh, guck mal, der arme Frosch. Hoffentlich hat er sich nicht die Beinchen gebrochen !!! (legt den Kopf wieder auf den Tisch, malt weiter)

Neuer Meister: Das Reden fällt euch wohl nicht schwer,

doch jetzt zum Thema bitte sehr.

(Kurs reagiert nicht)

Neuer Meister (die Ignoranz der Schüler ignorierend): Das Weib von dem ich nun erzähle,

ist die berühmte Gabriele.

Die Wohmann schrieb manch wunderbar Geschicht‘,

allein das Ende geb‘ ich euch nicht.

Das müßt ihr selber schreiben.

(entsetztes Schweigen, Ratlosigkeit)

Szene 3

-des Meisters Studierzimmer-

(es treten auf: alle überlebenden Schüler, der Meister schwer angeschlagen, ein grausig groß Getier)

Der Herr: Wir haben uns hier versammelt, um...

(ein Spalt öffnet sich sehr langsam im Boden, die schwarzhaarige Person stemmt sich unter Ächzen aus dem Spalt empor)

Person: Äh, also irgendwie war das total dunkel da unten, äh naja, man konnte so gar nichts

sehen, irgendwie na ihr wißt schon... (wird von einem lauten Donnern unterbrochen,

aus einer Rauchwolke tritt ein kleines garstiges Männlein mit grauem Haarkranz)

Zwerg (zum Herrn): Ich werde deine Stelle streichen,

du mußt von meiner Schule weichen. (tritt wütend gegen des Herrn

knackendes Knie)

Der Herr (freudig Kniebeugen machend): Ich bin gerettet!

Zwerg (den Herrn unterbrechend): Du bist gerichtet!

Doch sollst du weiterhin des Amtes Würde tragen

Kannst du mir meinen Namen sagen.

(Schüler weichen entsetzt vor der erschreckenden Gestalt des Zwerges zurück)

Der Herr: Hmmmm, heißt du vielleicht Rudolph?

Der Zwerg (grinsend, Kopf schüttelnd): Das kann ich leider nicht genehmigen.

Der Herr: Oder nennt man dich Gerd?

Der Zwerg (sich ins Fäustchen lachend): Nöööö.

Der Herr (Triumphierend): Dann muß dein Name eben Bernd sein.

Der Zwerg (läuft rot an): Das hat dir die Rosi gesagt.

(Zwerg stampft so heftig auf dem Boden auf, daß er im Boden versinkt. Die ganz zufällig neben ihm stehende schwarzhaarige Person wird durch den Strudel des Böden mitgerissen.)

Schwarzhaarige Person: Ja, äh also, wie sag‘ ich das jetzt, na ihr wißt schon. Hilfe!

(Schwarzhaarige Person und Zwerg sind verschwunden, der Herr und seine Schüler fassen sich bei den Händen und singen "Viel Glück und viel Segen auf all‘ deinen Wegen...")

 

Ende

 

 

S3 bescherte dem Kurs dann den ersten und einzigen Waschbrettbauch, der das Wesen des Kurses aber nicht wesentlich veränderte.

Das neue Schuljahr hatte kaum begonnen, schon erfuhr der gesundheitliche Zustand des hochgeschätzten Mentors einen herben Rückschlag. Diese Tatsache bescherte den Lklern zunächst eine Fülle von Freistunden und der Bedarf an einem Ersatzlehrer stieg über Nacht überraschend auf 100%. Nach drei Monaten erhielt der LK endliche eine würdige Vertretung: Rainer Wenzel.

Der unter Herrn Kochheim noch mehr oder weniger erfolgreich verdeckte Mangel an Arbeitsmoral trat nun unverblümt hervor. Es stellte sich heraus, daß Herr Wenzel nicht des Meisters Fähigkeit besaß, Illusionen aufrecht zu erhalten, dafür hatte er die nötige Kombinationsgabe um zu erkennen, daß sich die Lebhaftigkeit des Kurses im Privaten (Km: "Idiotischen") erschöpfte und sich der Kurs in mysteriöses Schweigen hüllte, sobald der unfaßbar naive Versuch unternommen wurde, den Lehrplan in den Unterricht mit einzubeziehen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die ersten Referate – welche der alte Meister noch vor seiner Erkrankung als Ersatz für eine ausgefallene Klausur in Auftrag gegeben hatte – das Stadium des mündlichen Vortrages erreicht. Hier wurde wieder die Dreiteilung des Kurses deutlich:

Wie schon erwähnt war für den einen Teil die kreative Arbeit bereits abgeschlossen, während das mittlere Drittel zumindest emsig an der Arbeit zu sein schien. Der verbleibende Teil war mit der Themenauswahl nicht zufrieden und traf die – wie sich später herausstellen sollte, weise – Entscheidung, das Projekt zu boykottieren.

Nachdem man sich durch – zum Teil halbfertige – Referate gequält hatte (die Abwertung der Bedeutung dieser Referate führte übrigens von "Ersatzklausur" über "mündliche Note" zu "Wertlos"), begab sich Herr Wenzel auf die Suche nach neuen Talenten zur Rettung der deutschen Literatur. Selbst schlußamputierte Klassiker der Weltliteratur wie Gabriele Wohmanns "Eva’s Besuch" und der Auftrag, ein der unglaublichen Dramaturgie des Werkes gerecht werdendes Ende zu kreieren, konnten den Kurs nicht zu intellektuellen Höchstleistungen beflügeln. Allerdings waren für den neuen Meister Steven King Adaptionen und Drehbücher für "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" vollkommen ausreichend, um den Kurs mit allerlei Lob zu überschütten.

Inmitten des goldenen hanseatischen Herbsttreibens, der Zeit in der der Regen an den mannigfaltig kolorierten Blättern zärtlich abperlt, befand sich der Kurs in einer melancholisch-verletzlichen Gemütslage. Ach ja, Vorabi war auch noch (Vgl. Artikel S. ??)

Nach der großartig zelebrierten Heimkehr des nur partiell einsatzfähigen Meisters befand sich der Kurs zunächst unter der provisorischen Regierung des Wenzelianisch-Kochheimschen dualen Systems.

Zwecks Themenvielfalt im Abitur entschied sich der große Meister, dem Kurs das wilhelministisch geprägte Werk "Irrungen, Wirrungen" des Theodor von Thane ;-) zuzumuten.

Auf das Abitur kann hier nicht näher eingegangen werden, da die Autoren dieses erfolgreich verdrängt haben.

Just in diesem Moment sitzen die Autoren über den letzten Sätzen ihres LK-Berichtes, obwohl sie eigentlich den genialen Ausführungen ihres großen Meisters lauschen sollten, der einmal mehr das Krankenbett hütet. Aus diesem Grunde kann kein zuverlässiger Blick in die Zukunft geworfen werden, es sei nur gesagt, daß aller Voraussicht nach die Herren Camus und Kafka den Abschluß dieses Kurses stellen werden.

Frei von Ironie und Sarkasmus möchten die Autoren sowohl dem großen, als auch dem kleinen Meister, sowie dem Rest des Kurses, für zwei Jahre Spannung, Spiel und Schokolade Dank sagen.

Von: Christian Burgdorf, Anna Sachs, Nadine Sadlowski und Heiko Wagner

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